Die Novizin

Als Adelaide als Novizin bei den Karmeliterinnen in Nancy in das Stift eintrat, war sie gerade 12 Jahre alt. Sie hatte noch nichts von der Welt gesehen, als den Hinterhof der väterlichen Schusterwerkstatt. Der Vater war jedoch im letzten Jahr am Fieber gestorben und hatte die Mutter mit 6 Kindern zurück gelassen. Schwere Zeiten waren seither für die Familie angebrochen. Zwar konnte die Mutter den einzigen Gesellen zum Bleiben überreden, doch konnte der gute Mann nicht genug Geld verdienen um alle zu ernähren.

Eines Tages war dann der Geldverleiher gekommen, um den spärlichen Schmuck der Mutter mitzunehmen. Die jüngeren Geschwister hatten den vornehm gekleideten Mann staunend betrachtet. Die Mutter war hochaufgerichtet und stocksteif in der Stube gestanden, während der hagere Mann im schwarzen Rock sich über den Tisch beugte und die darauf liegenden, wenigen Stücke betrachtete. Schließlich hatte er alles bis auf eine kleine Brosche mitgenommen. Als sich die Türe hinter ihm schloß, hatte die Mutter die Brosche ergriffen und fest an die Brust gedrückt. Mit seltsam dumpfer Stimme hatte sie ihre Älteste zu sich gerufen und sie geheißen ein Bündel zu schnüren. Adelaide hatte die Mutter mit großen Augen angesehen und nicht gewagt etwas zu fragen. Doch die Worte, die ihr weiteres Leben bestimmen sollten, tropften auch ohne Frage wie schweres Öl vom Mund der Mutter. "Du wirst ins Karmeliterinnen-Stift nach Nancy gehen, Tochter!" Die Stimme der Mutter duldete keinen Widerspruch. "Nimm die Brosche mit dir, sie ist deine Hoffnung auf ein besseres Leben. Zeige sie in Nancy der Mutter Priorin vor! Sie wird sie erkennen und sich für deine Aufnahme verwenden!" Ein letztes Mal blickte die Mutter auf die glänzende Brosche nieder. Ein fein ziseliertes Gebilde mit einem roten Granat in der Mitte, zu wenig wert um für den Geldverleiher von Interesse zu sein. Doch konnte Adelaide sehen, daß es der Mutter schwerfiel sich davon zu trennen. Zögernd reichte sie die Brosche an Adelaide weiter, die sie sorgsam in ihrer Kitteltasche barg um das kostbare Kleinod, das die Mutter ihr anvertraut hatte, nicht zu verlieren. Bald waren alle Habseligkeiten gepackt und die Reise konnte beginnen. Für die erste Etappe der Reise, die Adelaide von Frankfurt aus in die Heimat der Mutter, nach Nancy führen sollte, hatte die Mutter organisiert, daß das Mädchen mit einem befreundeten Kaufmann reisen konnte. Erst ab Saarbrücken mußte sie alleine sehen wie sie weiterkam. Nach 6 Wochen war es geschafft. Mit bangem Herzen klopfte sie an die Pforte des Stiftes. Dumpf hallte das Pochen des goldglänzenden Türklopfers hinter der kleinen Türe aus dunklem Holz wider. In Adelaides Kopf hallten die letzten Worte der Mutter ebenso wider. Die letzten Worte vor ihrer Abreise in das für sie fremde Land. Vielleicht sogar die letzten Worte die sie je von ihrer Mutter hören würde. "Geh meine Tochter, werde Nonne! So weiß ich dich versorgt und habe keine Sorge um dein Seelenheil"

Eine kleines, mageres Gesicht erschien in dem kleinen, vergitterten Fensterchen in der Mitte der Tür und fragte Adelaide nach ihrem Begehr. Mißtrauisch musterten die wachen, braunen Augen der Novizin, die abgerissene und schmutzige Gestalt, die da vor der Klosterpforte stand und um Einlaß bat. Durchaus wollte das Mädchen auch noch die Mutter Priorin sprechen. Widerwillig zog die Novizin die Türe auf und hieß Adelaide in einem breiten hohen Gang warten und ja nichts berühren. Das hätte das Mädchen sich ohnehin nicht getraut und so stand sie dicht bei der Pforte, die sie nun von der Aussenwelt trennte und zog die Schultern hoch wie wenn sie fröre. Schließlich kam die Novizin, die sie eingelassen hatte, zurück und führte sie durch endlose Gänge bis vor eine dunkle Türe. Respektvoll klopfte sie an und knickste demütig nachdem sie den dahinterliegenden Raum betreten hatte. Dann winkte sie Adelaide herein und bedeutete ihr ebenfalls einen Knicks vor der Mutter Priorin zu machen. Als Adelaide sich wieder aufrichtete, erschrak sie zutiefst. Ihre Mutter stand vor ihr. Angetan in den Ornat der Karmeliterinnen und einen Rosenkranz zwischen den schlanken Fingern. Mit bebenden Fingern und fliegenden Gedanken streckte sie der Frau, die sie für ihre Mutter hielt, die Brosche entgegen die diese Ihr vor 6 Wochen ausgehändigt hatte. "Mutter, ich habe getan was ihr geboten habt. Ich bin nach Nancy gekommen um diese Brosche der Mutter Priorin vorzuzeigen. Bitte erklärt mir ... wie gelang es euch noch vor mir hierher zu kommen und wo sind die Geschwister? Sind sie auch hier?!" Hoffnung glomm in Adelaides Herzen auf. Hoffnung auf Heimkehr in ihr gewohntes Lebensumfeld, in das Haus in dem sie seit ihrer Geburt gelebt hatte. Doch die Mutter Priorin sah sie nur unverwandt an und runzelte die Stirne. Schließlich beugte sie sich vor und betrachtete die Brosche. Da überzog ein feines Lächeln ihr Gesicht. "Du mußt die Tochter meiner Schwester sein, da du diese Brosche besitzt. Sie hätte sie niemals jemandem anderen gegeben als ihrer Tochter. Was ist der Grund für Deinen Besuch hier in Nancy. Das letzte was ich von Marie-Claudine hörte war, daß sie einen Schustermeister in Frankfurt geheiratet hätte." Adelaide hatte nichts davon gewußt, das die Mutter eine Schwester hatte. Und nun stand sie hier vor ihrer Tante und berichtete, daß die Mutter sie nach Vaters Tod geschickt hatte um Nonne zu werden. Die Priorin lächelte noch immer als sie die Brosche in eine kleine Schatulle auf ihren Schreibpult legte. Als sie sich wieder zu Adelaide umwandte, bemerkte Adelaide die feinen Unterschiede die belegten, daß diese Frau nicht ihre Mutter war. Die Augen waren etwas schmaler, nicht so mandelförmig wie die der Mutter. Ihre Hände waren weich und weiß. Die Hände der Mutter waren rauh und rissig von der Hausarbeit. Noch immer konnte Adelaide nicht ganz begreifen, daß die Schwester der Mutter eine Mutter Priorin war und ihr helfen würde ein neues Leben zu beginnnen.

Bald hatte die Priorin alles in die Wege geleitet und Adelaide wurde zu einer kleinen Zelle geführt, in der eine schmale Pritsche, ein kleines Tischchen und eine Waschschüssel standen. Dort sollte sie schlafen, doch tagsüber war ihr der Aufenthalt in ihrer Zelle streng untersagt. Zusammen mit den anderen Novizinnen wurde sie in den Gebräuchen der Karmeliterinnen unterwiesen und verrichtete Arbeiten im Klostergarten und der Küche. Einmal in der Woche, am heiligen Sonntag kam der Priester der Kirche von Nancy um in der Kapelle des Klosters die Messe zu lesen und den Nonnen und Novizinnen die Beichte abzunehmen. Als er dessen gewahr wurde, daß Adelaide neu in Kloster war, nahm er sie beiseite in ein prachtvolles Zimmer um ihr dort, wie er sagte, die Beichte abzunehmen. Doch was dort geschah, lies Adelaide bald an Flucht aus dem sicheren Kloster denken. Zwei Tage lang konnte sie nicht sitzen und blutete auch stark. Als sie zur Mutter Priorin ging um ihr zu melden was geschehen war, wurde sie nur kurz vorgelassen und mit der Erklärung, daß der Priester am besten wisse was für ihr Seelenheil gut sei, wieder an die Arbeit geschickt. Adelaide begann die Sonntage zu hassen und fürchtete nichts mehr, als das der Priester sie zu seinen besonderen Beichten rufen würde. Andere Novizinnen, die auch in das Besucherzimmer geführt wurden, vermieden ebenfalls sich hinzusetzen und schlichen verstohlen in die Apotheke um sich Baumwolllappen geben zu lassen.

Bald konnte Adelaide die Angst nicht mehr ertragen und sann auf Abhilfe. Eines Tages, als sie eine der Schwestern zu einem Krankenbesuch begleitete, bot sich eine Gelegenheit. Sie sollte Wasser aus dem Brunnen holen. Stattdessen hielt sie einen Karren an und belog den Bauern mit einer Geschichte von ihrer kranken Mutter, die sie zu sich gerufen habe. Der gutmütige Mann nahm Adelaide mit bis ins nächste Dorf von wo sie sich zu Fuß aufmachte um in Richtung Frankfurt heimzukehren. Doch als sie Metz kaum passiert hatte, wurde sie von einer Patrouille des Heeres aufgegriffen, die auf der Suche nach diversen entsprungenen Mönchen und Nonnen war. Schnell wurde ihr in Nancy der Prozeß gemacht. Unter der Folter gestand sie die Wahrheit aller Anklagen, die der Priester gegen sie erhoben hatte.

Die Anklage lautete auf Hexerei und Buhlschaft mit dem Teufel. An ihrem 14 Geburtstag wurde die Novizin Adelaide Baumann, Schusterstochter aus Frankfurt auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Die anwesenden Schaulustigen konnten ihre Sensationsgier jedoch nicht befriedigen, da die Verurteilte durch die schweren Folterungen bewußtlos am Pfahl hing, als man den Reisig in Brand steckte.